sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Kinderpornografie-Besitz weist auf Kindeswohlgefährdung hin




Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
epd-bild/Jörg Donecker
Setzt sich ein Gericht über Warnungen des Jugendamtes zu einer Kindeswohlgefährdung hinweg, müssen die Richter dies genau begründen. Andernfalls verletzt der Staat seine Pflicht, das Kind zu schützen, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Bei einer Gefährdung des Kindeswohls muss der Staat "die Pflege und Erziehung des Kindes sicherstellen". Ordnet ein Gericht die Rückführung eines Kindes zur Pflegemutter an, obwohl das Jugendamt vor dem wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material verurteilten Pflegevater gewarnt hat, müssen die Richter daher schon sehr genau begründen, warum für das Kind kein Risiko besteht, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 5. März veröffentlichten Beschluss. Andernfalls darf das Pflegekind nicht wieder zurück.

Sieben Monate auf Bewährung

Im konkreten Fall hatte ein brandenburgisches Ehepaar 2014 ein Kind kurz nach dessen Geburt zur Pflege aufgenommen. Die frisch gebackenen Pflegeeltern wollten das Kind später adoptieren. Bis dahin blieb das Jugendamt noch Amtsvormund.

Während des Adolptionsverfahrens im Jahr 2018 erfuhr die Behörde, dass bei dem Pflegevater 2013 kinderpornografisches Material - Bilder und Videos - sichergestellt wurde. Der Mann wurde deshalb 2017 wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischer Schriften zu einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Weder hatte er das Jugendamt darüber informiert, noch die Strafgerichte oder den Bewährungshelfer über die beabsichtigte Adoption. Der Pflegevater versuchte, durch die Vorlage eines alten Führungszeugnisses die Verurteilung zu verschleiern, um die Adoption nicht zu gefährden.

Gericht: Nach Trennung keine Gefahr

Das Jugendamt befürchtete eine Kindeswohlgefährdung und veranlasste die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie. Ohne Erfolg wies der Mann darauf hin, dass er nicht pädophil sei. Die Ehefrau meinte, dass er "schließlich kein Kind missbraucht" habe.

Vor Gericht wollten sie die Rückführung "ihres" Kindes erstreiten und argumentierten mit dem Kindeswohl. Das Kind sei wegen der Herausnahme aus der Familie traumatisiert. Es wolle auch wieder zurück und lebe derzeit in einer Jugendhilfeeinrichtung. Auch die Unterbringung bei neuen Pflegeeltern sei gescheitert. Im Laufe des Verfahrens trennte sich das Paar. Der Mann lebt jedoch in direkter Nachbarschaft und erklärte, für die Frau und das Kind einzustehen.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) ordnete die Rückführung zur Pflegemutter an. Das Paar habe sich getrennt, so dass keine Gefahr wegen des Pflegevaters bestehe.

Das Jugendamt legte als Vormund für das Kind dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Der Mann sei in unmittelbarer Nachbarschaft gezogen und habe erklärt, für die Pflegemutter und das Kind einstehen zu wollen. Die vermeintliche Trennung sei nur erklärt worden, damit die Mutter das Pflegekind wieder bei sich aufnehmen könne. Damit bestehe weiterhin eine Gefährdung des Kindeswohls.

Staatliche Schutzpflicht

Die Verfassungsrichter entschieden, dass das OLG die Warnungen des Jugendamtes mehr beachten musste. Zwar könne ein Gericht sich auch gegen die Einschätzung der Behörde entscheiden. Halte das Gericht die Trennung des Kindes von den Pflegeeltern nicht mehr für erforderlich, obwohl die beteiligten Fachkräfte - hier das Jugendamt - auf die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung hinweisen, müsse die gerichtliche Entscheidung nachvollziehbar begründet werden.

Bei einer Gefährdung des Kindeswohls sei der Staat damit nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, "die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen". Die staatliche Schutzpflicht greife auch, wenn das Kind von Pflegeeltern betreut wird. Für die Rückkehr eines Kindes in die Pflegefamilie müsse daher regelmäßig eine "Gefahrenprognose" erstellt werden.

Hier sei das OLG ohne Anhörung des Kindes davon ausgegangen, dass dieses zu den Pflegeeltern zurück wolle. Ob das Paar tatsächlich getrennt sei und die Pflegemutter eine Missbrauchsgefahr des Mannes anerkennt, habe das Gericht nicht ermittelt. Auch sei kein Gutachten zu möglichen pädophilen Neigungen des Mannes eingeholt worden. Auf welcher Grundlage das OLG die Rückführungsentscheidung letztlich getroffen hat, sei nicht klar, so dass dieses nun neu über den Fall entscheiden müsse.

Warnung vor leiblichen Eltern

Ähnlich hatten die Verfassungsrichter bereits am 3. Februar 2017 zu einem Fall drohender Kindesmisshandlung entschieden. Die staatliche Schutzpflicht werde verletzt, wenn entgegen der Warnung von Gutachtern und Jugendamt ein Gericht ohne nähere Begründung die Rückkehr eines in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes zu seinen leiblichen Eltern anordnet.

Hier hatte eine psychologische Gutachterin vor den leiblichen Eltern gewarnt. Ihnen fehle es nicht nur an Empathie und Erziehungsfähigkeit, bei einer Rückkehr sei das Kind "unmittelbar gefährdet". Auch das Jugendamt und die vom Familiengericht eingesetzte Verfahrensbeiständin - quasi eine "Anwältin des Kindes" - hatten erhebliche Bedenken. Dennoch ordnete das OLG Köln ohne nähere Begründung die Rückführung des Kindes zu den leiblichen Eltern an.

Dies beanstandete das Bundesverfassungsgericht. Setze sich das OLG über die Warnungen der Fachbeteiligten hinweg, müsse detailliert begründet werden, warum keine Kindeswohlgefährdung bestehe. "Insbesondere hat es nicht selbst ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine gegenläufige Einschätzung stützen könnte", so die Verfassungsrichter. Es müsse ein "hohes Maß an Prognosesicherheit" bestehen, dass dem Kind kein Schaden drohe.

Az.: 1 BvR 1780/20 (Kinderpornografie)

Az.: 1 BvR 2569/16 (Kindesmisshandlung)

Frank Leth