sozial-Branche

Corona-Krise

Interview

Ärztevorsitzende beklagt mangelnden Gesundheitsschutz in Kliniken




Susanne Johna
epd-bild/LÄK Hessen
Die Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund, Susanne Johna, macht sich in der Corona-Krise Sorgen über die Gesundheit der Beschäftigten in den Krankenhäusern. "Entscheidend für die Versorgung der Bevölkerung ist, dass das Personal in den Kliniken gesund bleibt und die Belastung durchhält", sagte die Internistin.

In der Corona-Krise hat das Robert Koch-Institut schon sehr früh darauf gedrängt, dass die Krankenhäuser in relativ kurzer Zeit die Zahl der Intensivbetten möglichst verdoppeln. Hier kämen die Häuser gut voran, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, im Interview des Evangelischen Pressedienstes. Unzureichend sei allerdings der Gesundheitsschutz auf den Stationen. Warum Deutschland beim Kampf gegen die Pandemie im internationalen Vergleich relativ gut dasteht, erläuterte die Internistin und Krankenhaushygienikerin, die seit November 2019 Bundesvorsitzende der Ärztegewerkschaft ist, im Gespräch mit Markus Jantzer.

epd sozial: Frau Dr. Johna, wie schützen Sie sich vor dem Coronavirus?

Susanne Johna: Ich versuche, die Regeln zu befolgen, also 1,5 bis zwei Meter Abstand zu halten. Ich wasche mir außerdem regelmäßig die Hände, das bin ich als Krankenhaushygienikerin ohnehin gewohnt. Ich desinfiziere mir in der Klinik noch häufiger als sonst die Hände. In der Klinik tragen wir durchgehend einen chirurgischen Mund-Nasenschutz, bei einem Kontakt zu einem Covid-19-Verdachtsfall natürlich komplette Schutzkleidung.

epd: Wie können Sie Ihre Fachkenntnisse als Hygienikerin in der aktuellen Situation in dem Krankenhaus in Rüdesheim, in dem Sie beschäftigt sind, einbringen?

Johna: Ich bringe sie im Krankenhaus an viel mehr Stellen ein, als ich erwartet hätte. Denn wir müssen ganz viel improvisieren. Wir müssen zum Beispiel Desinfektionsmittel, die in großen 1.000-Liter-Kanistern angeliefert werden, selber abfüllen. Das habe ich so auch noch nicht erlebt. Dazu müssen wir als Hygieniker Prozesse zum Einsammeln und zur Aufbereitung der Kanister entwickeln. Ganz grundsätzlich müssen wir in der aktuellen Mangelsituation neu denken.

epd: Die Krankenhäuser bereiten sich auf eine wachsende Zahl an Intensivpatienten vor. Wie gut kommen sie dabei voran?

Johna: Die Häuser kommen gut voran. Dabei war es ganz wichtig, früh genug planbare Operationen zu verschieben. So wurde Zeit gewonnen, um Material zu beschaffen und Personal für ihren Einsatz auf Intensivstation zu schulen.

epd: Wird die geplante Aufrüstung auf 50.000 Betten, was fast einer Verdoppelung entspricht, gelingen?

Johna: Noch ist eine Verdoppelung der Betten nicht erreicht. Wir sind jetzt in Deutschland bei 40.000 verfügbaren Intensivplätzen. Ab Mai sollen mehr als 10.000 zusätzliche Beatmungsgeräte von Herstellern geliefert werden. Positiv ist festzuhalten, dass die Belastung in den Krankenhäusern bis jetzt etwas langsamer zunimmt, als das erwartet wurde. Das gilt jedenfalls insgesamt betrachtet, in einzelnen Regionen dürfte es allerdings anders sein.

epd: Wie es scheint, fehlt es den Krankenhäusern weniger an Intensivbetten als an Schutzausrüstung. Wie besorgniserregend ist der Mangel an relativ einfachen Sachmitteln?

Johna: Da mache ich mir schon Sorgen. Denn entscheidend für die Versorgung der Bevölkerung wird sein, dass das Personal in den Krankenhäusern gesund bleibt und die Belastung durchhält. Wer an Covid-19 erkrankt, kann für zwei Wochen und länger ausfallen. Aus diesem Grund ist die Schutzkleidung das A und O. Hier nehme ich außerdem mit Sorge zur Kenntnis, dass das Robert Koch-Institut seine Anforderungen an die Schutzausrüstung in der aktuellen Lage absenkt. Hintergrund sind die Lieferengpässe.

epd: Hat der Mangel an Schutzausrüstung in den Krankenhäusern bereits Schaden angerichtet?

Johna: Wir hören, dass Fachkräfte ausfallen, weil sie sich infiziert haben. Sie haben sich in den Krankenhäusern angesteckt, aber auch außerhalb.

epd: Wie viele Klinikfachkräfte sind daran erkrankt und fallen nun an ihren Arbeitsplätzen aus?

Johna: Wir haben dazu leider keine guten Zahlen. Das bedeutet, wir wissen nicht, wie viele Ärzte und Pflegekräfte infiziert sind. Das ist erstens so, weil nicht das gesamte Fachpersonal getestet worden ist. Der zweite Grund für unseren Datenmangel ist, dass auf den Meldezetteln nicht zwischen den Berufsgruppen differenziert wird. Dort wird "medizinisches Personal" angekreuzt und nicht weiter unterschieden etwa zwischen Arzthelferin und Intensivpflegeschwester. Lägen hierzu präzisere Erkenntnisse vor, könnten die Krankenhäuser ihre Schutzmaßnahmen gegebenenfalls nachbessern.

epd: Welche Vorkehrungen müssen die Kliniken aus Ihrer Sicht noch treffen, damit sie den Belastungen in den nächsten Wochen und Monaten gewachsen sein werden?

Johna: Nötig sind insbesondere intensive Schulungen. Das ist auch deshalb wichtig, um zur Not Fachpersonal der Intensivstationen durch Personal aus anderen Stationen ersetzen zu können. Und es melden sich auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Ruhestand, die wir dann ebenfalls schulen - und zwar jetzt schon, nicht erst, wenn ein Engpass auftritt.

epd: Wie würden Sie die Stimmung unter den Klinikärztinnen und -ärzten beschreiben? Erleben Sie eine Angst vor Überforderung?

Johna: Angst nicht. Ich erlebe sehr viel Aktivität und ganz, ganz viel Wissensaustausch. Das finde ich großartig. Ich höre aber auch viele Ärzte und Pflegekräfte, die sich beim Thema Schutzkleidung alleingelassen fühlen. Angst bereitet ihnen insbesondere, dass nun aufgrund des Ausrüstungsmangels hochwertige FFP2-Masken durch einfachen Mund-Nasen-Schutz ersetzt werden müssen. Wir fangen sogar an zu überlegen, wie wir die FFP2-Masken wieder aufbereiten können, nachdem bis zur Corona-Krise die Empfehlung des RKI galt, die Masken nach einmaligem Gebrauch zu entsorgen.

epd: Wie werden die Krankenhäuser finanziell durch die Corona-Krise kommen?

Johna: Das kürzlich beschlossene Programm der Bundesregierung, um die Kliniken während der Corona-Epidemie finanziell zu unterstützen, enthält vernünftige Maßnahmen. Irritierend ist aber, dass jedes freigehaltene Bett mit 560 Euro im Monat unterstützt wird, unabhängig davon, ob es in einem Krankenhaus der Maximalversorgung wie einer Uniklinik oder in einem Haus der Grundversorgung wie ein Kreiskrankenhaus steht. Dabei ist doch ganz klar, dass diese beiden Kliniktypen unterschiedlich hohe Grundkosten haben. Dass nur 50 Euro mehr pro Corona-Fall gezahlt werden, ist ebenfalls zu wenig. Die Summen, die für Arzneimittel, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel anfallen, werden deutlich höher liegen.

epd: Wie werden die Krankenhäuser reagieren, wenn ihnen das Geld nicht reicht?

Johna: Unterschiedlich. Bei privaten Trägern kann ich mir vorstellen, dass sie regional aus der Versorgung von Corona-Patienten aussteigen, wenn sich das für sie nicht rechnet.

epd: Mehr als ein Drittel aller Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind in privater Hand, handeln also gewinnorientiert ...

Johna: Private Träger müssen jetzt ihre Gewinnerwartungen massiv herunterschrauben.

epd: Erweist sich die Privatisierung im Klinikbereich in der aktuellen Herausforderung durch die Corona-Krise folglich als Nachteil?

Johna: Als Vorteil jedenfalls nicht. Private Kliniken sparen nachweislich noch mehr Personal ein als gemeinnützig oder staatlich getragene Kliniken. Und mit einer dünnen Personaldecke wird es in der Corona-Krise schwierig. Auch könnte die Tatsache, dass private Träger aus wirtschaftlichen Gründen noch weniger Material in ihren Lagern vorhalten, zusätzliche Schwierigkeiten bringen.

epd: Was sagt es insgesamt über das deutsche Gesundheitswesen aus, dass die Sterblichkeit der Corona-Infizierten in Deutschland so viel niedriger liegt als in anderen EU-Staaten und den USA?

Johna: Das ist für sich betrachtet noch kein Ausweis für die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems. Diese Zahlen werden auch durch andere Faktoren beeinflusst, zum Beispiel durch die Tatsache, dass in Deutschland viel mehr getestet wird als in anderen Ländern. Wir wissen auch nicht, wie viele der sogenannten Corona-Toten wirklich durch den Virus getötet wurden und nicht aufgrund anderer Erkrankungen.

epd: Welche systematischen Stärken und Schwächen des deutschen Gesundheitssystems hat die Epidemie bereits offengelegt?

Johna: Als systematische Stärke erweist sich, dass wir in Deutschland Reservekapazität haben. Gerade diese Tatsache wurde bis vor wenigen Monaten noch massiv kritisiert, etwa in einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Da wurden europäische Staaten positiv hervorgehoben, die mit viel weniger Krankenhäusern, viel weniger Betten und mit weniger Kosten auskommen. Die Krankenhäuser in Deutschland haben eine durchschnittliche Belegung von knapp unter 80 Prozent, wohingegen in anderen europäischen Staaten Krankenhäuser im Schnitt eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent ausweisen. In der Corona-Krise sind wir nun heilfroh, dass wir diese Reserven haben. Denn sie können ja im Krankenhaus den Intensivbereich für Corona-Patienten nur erweitern, wenn sie in anderen Stationen freie Kapazitäten haben. Das ist ein entscheidender Grund, warum etwa die Niederlande uns bittet, Patienten aufzunehmen - und wir das auch können.