sozial-Recht

Schleswig

Schwerbehindert: Erheblich beeinträchtigte Diabetiker




Ein Diabetiker misst seinen Glukosewert.
epd-bild/Heike Lyding
Diabetiker können in besonders schweren Fällen in einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 eingestuft werden. Vor dem Landessozialgericht Schleswig hatte nun ein Kläger Erfolg, der sich durch die Krankheit in seiner Lebensführung erheblich beeinträchtigt sah.

Für insulinpflichtige Diabetiker können krankheitsbedingte Einschränkungen bei Reisen oder beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen und von Freunden den Ausschlag zur Feststellung einer Schwerbehinderung geben. "Beeinträchtigungen bei der Teilhabe in der Gesellschaft spielen mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention immer mit eine Rolle, ob ein Diabetiker schwerbehindert ist oder nicht", sagte Daniel Overdiek, Leiter der bayerischen Rechtsabteilung des Sozialverbandes VdK, am 7. April dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu einem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 14. Februar. Die Schleswiger Richter hatten den klagenden Diabetiker als Schwerbehinderten eingestuft, weil neben dem bestehenden Therapieaufwand auch eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung vorlag.

Gravierende Einschränkungen

Im Streitfall verlangte der Kläger eine Höherstufung seines Grades der Behinderung (GdB) auf 50. Damit wäre er als Schwerbehinderter anerkannt. Neben einer Funktionsstörung in der Schulter und im Knie verwies er vor allem auf seine Diabetes-Erkrankung. Er müsse sich mindestens viermal, meist siebenmal täglich Insulin spritzen. Es komme häufig zu Unterzuckerungen, die sich in Müdigkeit und Erschöpfung ausdrückten. Er sei zudem wegen seiner Diabetes-Erkrankung impotent.

Auch wenn er bislang bei Unterzuckerungen immer rechtzeitig reagieren konnte und kein medizinischer Notfall eingetreten war, müsse die Schwere seiner Erkrankung anerkannt werden. Sein Diabetes führe zu einer "gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung". So könne er wegen seiner schwankenden Blutzuckerwerte viel schwerer Reisen machen, Freunde besuchen oder an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Diese Einschränkungen der Teilhabe in der Gesellschaft müssten bei der Feststellung des GdB mit einfließen.

Das zuständige Landesamt für soziale Dienste lehnte die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 ab. Es fehle an einer neben dem Therapieaufwand erforderlichen deutlichen Teilhabebeeinträchtigung. Der Kläger habe seine Diabeteserkrankung im Griff.

Drei Kriterien des BSG

Das LSG stellte bei dem Kläger dagegen einen GdB von 50 fest. Dies sei in der Gesamtbetrachtung der Einschränkungen des Klägers gerechtfertigt. Die Schleswiger Richter verwiesen dabei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel.

Damit ein Diabetiker als Schwerbehinderter anerkannt und einen dafür notwendigen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zugesprochen bekommt, müssten drei Kriterien erfüllt sein, urteilten die Kasseler Richter am 25. Oktober 2012: So müsse der Zuckerkranke sich mindestens viermal täglich Insulin spritzen. Man dürfe aber auch "nicht zu penibel sein", wenn diese Grenze gelegentlich unterschritten wird. Zweitens müsse es erforderlich sein, dass der Kranke seine Insulindosis immer neu anpassen muss. Und schließlich drittens müsse die Lebensführung durch die Krankheit "erheblich beeinträchtigt" sein. Im damaligen Streitfall hatte das BSG einer Diabetikerin allerdings die Anerkennung als Schwerbehinderte versagt, weil diese ihre Erkrankung gut beherrschte.

Es sei aber nicht erforderlich, dass für eine Feststellung eines GdB von 50 "gravierende Einschränkungen" zwingend in mehreren Lebensbereichen vorliegen müssen, so das BSG in einem weiteren Urteil vom 16. Dezember 2014. Allerdings müsse eine Gesamtbetrachtung vorgenommen werden, bei der die Einschränkungen in den jeweiligen Lebensbereichen wie Beruf oder auch Freizeit geprüft werden.

Bandbreite von null bis 50

Im aktuellen Streitfall begründeten die Einschränkungen des Klägers die Anerkennung als Schwerbehinderten, befand das LSG. Der Kläger müsse sich einer Insulintherapie mit täglich mindestens vier Injektionen mit unterschiedlicher Dosierung unterziehen. Es lägen auch Folgeerkrankungen vor wie eine bestehende Impotenz und der Verlust zweier Zähne, die auf die Diabeteserkrankung zurückzuführen sind.

"Berücksichtigt man sowohl die Einschränkungen bei der Freizeitgestaltung, insbesondere beim Reisen, bei Restaurantbesuchen sowie bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und den Besuch von Freunden als auch das Vorliegen mehrerer Folgeerkrankungen des Diabetes", würden insgesamt "gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung" vorliegen, stellte das LSG fest.

Hinzu komme noch die eingeschränkte Beweglichkeit an der Schulter und an dem Knie, welche bei der Feststellung des Gesamt-GdB von 50 mitberücksichtigt werden müsse, urteilte das LSG.

"Soll eine Schwerbehinderung infolge einer Diabeteserkrankung und ein GdB festgestellt werden, ist oft alles drin. Die Bandbreite des Einzel-GdB für Diabetes geht in der Regel von null bis 50 bei gravierenden Einschränkungen der Lebensführung", sagt Overdiek. In der Praxis sei es allerdings schwierig, einen GdB von 50 zu erreichen, der allein auf einen Diabetes zurückgeführt werden kann. Häufig kämen noch andere Erkrankungen hinzu, die bei der Bestimmung des Gesamt-GdB mitberücksichtigt werden müssen.

Az.: L 2 SB 54/18 (LSG Schleswig)

Az.: B 9 SB 2/12 R (BSG, GdB-Kriterien)

Az.: B 9 SB 2/13 R (BSG, Einschränkungen von Lebensbereichen)

Frank Leth