sozial-Recht

Gerichtshof für Menschenrechte

Blitzabschiebungen an EU-Außengrenze erlaubt




Der Schuh eines afrikanischen Flüchtlings an einem Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla
epd-bild/Hans-Günter Kellner
"Mit dem Urteil wird das Recht auf Asyl weiter ausgehöhlt." Die Kritik der Diakonie Deutschland über eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte fällt scharf aus. Laut EGMR darf Spanien Migranten bei Grenzübertritt umgehend nach Marokko zurückweisen.

Flüchtlinge können nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) faktisch kaum noch Asyl an einer EU-Außengrenze beantragen. "Werden sie beim illegalen Überklettern eines Grenzzaunes erwischt, dürfen sie nach der Entscheidung der Straßburger Richter ohne jegliche Registrierung und ohne Vorbringen ihrer Asylgründe umgehend wieder abgeschoben werden", sagte Katharina Stamm, Referentin für Europäische Migrationspolitik bei der Diakonie Deutschland am 19. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Faktisch bestehe damit keine Möglichkeit, ein Asylrecht geltend zu machen, da eine Asylantragstellung an einem Grenzposten oder in der Botschaft eines EU-Staates verhindert werde. Die Polizei lasse die Flüchtlinge erst gar nicht dorthin.

Im entschiedenen Rechtsstreit wollten zwei Flüchtlinge aus Mali und der Elfenbeinküste über Marokko in die auf nordafrikanischen Boden befindliche Stadt Melilla fliehen. Melilla gehört, ebenso wie die Stadt Ceuta, zu Spanien und ist von Marokko umgeben.

Sechs Meter hohe Zäune

Seit Jahren versuchen Flüchtlinge, in die umzäunten Städte zu gelangen, um so in Spanien Asyl beantragen zu können. Flüchtlingshilfsorganisationen und Medien berichten regelmäßig von Massenanstürmen von Flüchtlingen, die beim Versuch, die sechs Meter hohen Zäune zu überklettern, meist scheitern.

In Melilla hat Spanien die 13 Kilometer lange Grenze mit drei parallel verlaufenden Grenzzäunen gesichert. Zwischen vier Grenzübergängen patrouillieren Grenzbeamte, um eine illegale Einreise zu verhindern.

Als am 13. August 2014 eine große Zahl von Flüchtlingen die Grenzzäune überklettern wollten, konnte die marokkanische Polizei rund 500 Menschen noch abhalten. Von 100 Flüchtlingen schafften es 75 bis zum inneren Zaun, darunter auch die zwei Beschwerdeführer, die auf dem Zaun sitzenblieben und spanischen Boden noch nicht erreicht hatten.

Die Grenzbeamten holten die Männer herunter und schoben sie ohne jegliche Registrierung oder Anhörung ihrer Asylgründe ab. Die marokkanische Polizei brachte sie schließlich in die 300 Kilometer entfernte Stadt Fez, wo sie freigelassen wurden. Gegen die spanische Rückführungspraxis legten die Männer Beschwerde beim EGMR ein.

Verbot der Kollektivausweisung

Die Kleine Kammer des EGMR urteilte 2017, dass Spanien gegen das in der Menschenrechtskonvention enthaltene Verbot der Kollektivausweisung verstoßen habe. Flüchtlinge müssten ein Recht darauf haben, dass sie ihr Asylrecht auch in Anspruch nehmen können. Spanien hätte die Männer anhören müssen. Ihnen wurde eine Entschädigung von jeweils 5.000 Euro zugesprochen.

Doch das Urteil hatte nun vor der Großen Kammer des EGMR keinen Bestand. In ihrem Urteil vom 13. Februar betonten die Richter, dass die zwei sich "selbst in eine unrechtmäßige Situation" gebracht hätten. Sie hätten versucht, in einer großen Gruppe und Gewalt anwendend über die Sperren zu kommen.

Als Außengrenze des Schengen-Raumes sei Spanien verpflichtet, eine legale Einreise zu ermöglichen. Davon müssten auch Personen profitieren, die vor Verfolgung Schutz suchen. Es sei aber zumutbar, dass Asylanträge an den offiziellen Grenzübergängen oder in den spanischen Botschaften gestellt werden. Bei einem gewaltsamen Massenansturm von Flüchtlingen zum illegalen Grenzübertritt dürften Staaten die Einreise und damit die Aufnahme eines Asylverfahrens verweigern.

Gehindert von marokkanischen Offizieren

Hier habe es auch die Möglichkeit gegeben, an den Grenzübergängen Asylanträge zu stellen. Dies sei zwischen Januar und dem 31. August 2014 in Melilla in 21 Fällen geschehen. Die Beschwerdeführer hätten aber gar nicht dargelegt, dass sie zunächst einen legalen Grenzübertritt versucht hätten. Erst bei der Anhörung im EGMR hatten sie vorgebracht, dass "marokkanische Offiziere" sie gehindert hätten, an der spanischen Grenze Asyl zu beantragen. Hierfür wäre aber Spanien nicht verantwortlich.

"Mit dem Urteil wird das Recht auf Asyl weiter ausgehöhlt. Wie unter Umständen das Gebot der Nichtzurückweisung eingehalten werden kann, hat der Gerichtshof offengelassen", sagt Stamm. Dieses sogenannte Refoulement-Verbot ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Zwar hätten Flüchtlinge formal Anspruch darauf, einen Asylantrag zu stellen. Hierfür müssten sie aber erst einmal Zugang zum Territorium der EU erhalten. In Marokko sorge die dortige Polizei dafür, dass Flüchtlinge gar nicht erst an die Grenze gelangten. Die EGMR-Entscheidung sei eine Abkehr von früheren Urteilen und zementiere weiter die "Festung Europa".

"Blankoscheck für Push-Backs"

"Grund- und Menschenrechte wie das Asylrecht stehen immer mehr unter Druck", sagt Stamm. So würden etwa die Europaratsmitglieder Russland und die Türkei sich oft nicht mehr an EGMR-Urteile und die Europäische Menschenrechtskonvention halten. "Auch das Asylrecht ist nicht gottgegeben" und könne immer stärker eingeschränkt werden, etwa indem Ungarn vorschreibt, dass Flüchtlinge nur noch in sogenannten Transitzentren an der Grenze Asyl beantragen können, warnte die Migrationsexpertin. Das EGMR-Urteil ebne den Weg, um Flüchtlinge leichter zurückzuweisen, befürchtet Stamm.

Az.: 8675/15 und 8697/15

Frank Leth