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Pflegeheime

Wenn "Silver Surfer" nicht ins Netz kommen




Immer mehr Heimbewohner wollen das Internet nutzen - wie hier in Karlsruhe (Archivbild).
epd-bild/tema medien
Immer mehr Senioren nutzen aktiv das Internet - wenn sie denn Zugang haben. Zumindest auf die allermeisten Pflegeheimbewohner trifft das nicht zu. Für sie ist das Internet als Tor zur Welt oft noch fest verschlossen. Experten fordern Abhilfe.

Das Internet gilt als Tor in die Welt. Doch viele Senioren, die ihren Lebensabend in Pflegeheimen verbringen, können nicht chatten, E-Mails schreiben oder sich für Onlinespiele begeistern. Denn die meisten Einrichtungen sind nicht online. WLAN, im Idealfall kostenlos bereitgestellt, gibt es erst in 37 Prozent der Heime. Experten sehen dringenden Handlungsbedarf.

"Weil ältere Menschen oft immobiler werden und auch viel alleine sind, ist es ein großer Gewinn, im Internet surfen und digitale Medien nutzen zu können", sagt Nicola Röhricht, Referentin für Digitalisierung und Bildung bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO). Zudem sei es für Pflegekräfte und Angehörige sehr entlastend, das Internet zu nutzen, Spiele mit den Älteren zu spielen oder Podcasts und Filme zu streamen. Auch lasse sich spezielle Software für demenziell Erkrankte nutzen: "Menschen aktivieren sich und andere und lassen sich aktivieren."

Ausbau der Infrastruktur braucht Zeit

Die wachsende Bedeutung der Internetnutzung von Senioren ist den Trägern durchaus bekannt. Aber der technische Ausbau brauche seine Zeit, ist zu hören. Der Bundesverband der Anbieter sozialer Dienste (bpa) hält den Nutzungsgrad noch für überschaubar. Aber, so Geschäftsführer Herbert Maul gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Die Pflegeheime stellen sich auf die Erwartungen künftiger Bewohnerinnen und Bewohner ein." Konkrete Zahlen über die Quote der bereits ans Internet angebundenen Heime lägen seinem Verband nicht vor.

Die aber hat das Portal "Pflegemarkt.com" parat, das im Jahr 2018 eine Umfrage zum Thema WLAN in den Heimen gemacht hat. Telefonisch wurden den Angaben nach 575 Heimleitungen und Pflegedienstleitungen befragt. "Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache", heißt es auf der Homepage: "Das Thema WLAN ist aktuell in der deutschen Pflegelandschaft noch eher unterrepräsentiert. Nur 37 Prozent der befragten Pflegeheime bieten ihren Bewohnern die Möglichkeit einer WLAN Nutzung an."

WLAN-Nutzung kostet meist extra

Über 80 Prozent der Einrichtungen, in denen eine WLAN Nutzung grundsätzlich verfügbar ist, berechnen diese Leistung extra. Der Anteil der Häuser, die ein kostenfreies Netz zur Verfügung stellen, ist mit sechs Prozent momentan noch sehr gering. Die übrigen Einrichtungen machten keine genauen Angaben zum Kostenfaktor WLAN. Immerhin: 28 Prozent der Senioreneinrichtungen, in denen es noch keine Internetnutzung gibt, wollen in absehbarer Zukunft nachrüsten.

Doch was genau machen die Heimbewohner, wenn sie im Internet unterwegs sind? Auch das ist erforscht. Die Untersuchung "Digital mobil im Alter. So nutzen Senioren das Internet" von Telefonica Deutschland und der Stiftung digitale Chancen aus dem Jahr 2017 ergab, dass das E-Mail-Schreiben der Spitzenreiter bei den Anwendungen ist. Dann folgen Spiele und Lesen sowie Chatten, Videoschauen und Einkaufen.

"Digitale Technologien können die geistige und physische Mobilität von Senioren und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben verbessern", erklärt Professor Herbert Kubicek, wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Digitale Chancen und Leiter der Studie. Die Erhebungen beruhen auf den Angaben von insgesamt 300 älteren Menschen, die zwischen Mai 2016 und Mai 2017 in Senioreneinrichtungen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München acht Wochen lang Tablet-PCs mit Internetzugang ausprobiert haben. Etwa die Hälfte war zwischen 70 und 79 Jahre alt.

Medienkompetenz muss vermittelt werden

Dabei zeigte sich: Das Alter ist nicht die einzige Hürde für den Zugang zum Internet. Auch auf den Grad der Mobilität und die sozialen Kontakte kommt es laut der Studie an. Um die hohen Barrieren der Anwendung zu überwinden, braucht es spezifische Angebote, um Medienkompetenz altersgerecht zu vermitteln. Die und das Selbstbewusstsein der Senioren im Umgang mit dem Internet müssten gezielt gefördert werden.

Digitale Weiterbildung müsse, so die Studie, an den praktischen Erfahrungen der Senioren und dem erwarteten Nutzen ansetzen. "Für ältere Menschen bedeutet es oftmals eine große Anstrengung, sich mit den Geräten zu befassen. Das nehmen viele nur auf sich, wenn sie eine 'Belohnung' erwarten können, zum Beispiel besser mit der Familie in Kontakt zu bleiben.

Das sieht auch Nicola Röhricht so. Neben technischen Umstellungen seien "natürlich geeignete Einführungen nötig". Immerhin: Vereinzelt gebe es bereits aufsuchende Angebote von Senioren-Internet-Gruppen.

Problem: Breitbandausbau kommt nicht voran

Doch die Expertin richtet den Blick nicht allein auf die Zurückhaltung der Heimbetreiber, etwa aus Kostengründen. Oft fehlten schlicht die technischen Voraussetzungen, mehr Heime an das Internet anzuschließen. Die Politik müsse deshalb den Breitbandausbau intensivieren. "Zudem wäre eine Unterstützung zumindest der staatlichen und kirchlichen Heime durch öffentliche Fördermittel wünschenswert", sagt Röhricht. Das sei "eine lohnende Geldausgabe zur Prävention von Vereinsamung und Exklusion".

"Wenn die älteren Menschen die Internetnutzung selbst nicht lernen können oder wollen, sollten die Helfer das an ihrer Stelle für sie tun", rät Professor Kubicek. Das könne geschehen durch die Einbettung in vorhandene Strukturen wie Pflegedienste, Anbieter von haushaltsnahen Dienstleistungen und die ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe. Eine solche aufsuchende "digitale Assistenz" erscheine ergänzend zu den Ansätzen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen geboten, betont der Experte.

Zugleich sagt er aber auch: "Vor allem in höherem Alter sollte Senioren zugestanden werden, nichts Neues mehr lernen zu wollen." Das dürfe aber kein Grund sein, deswegen von digitalen Dienstleistungen ausgeschlossen zu bleiben.

Dirk Baas