sozial-Branche

Behinderung

"Haben nicht alle eine Macke und welche haben Sie?"




Das Social-Media-Team der Evangelischen Stiftung Hephata im Einsatz: Interview mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck auf dem Kirchentag in Dortmund.
epd-bild/Nora Frerichmann
Dating und Mobbing sind im Netz keine Nischenthemen. Allerdings werden sie oft etwas einförmig aus ähnlichen Perspektiven beleuchtet. Das diakonische Sozialunternehmen Hephata will das ändern - und lässt Menschen mit Behinderungen für sich selbst sprechen.

Philipp Fuchs ist mehr als zufrieden. Mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck hat er beim Evangelischen Kirchentag ein Interview abgedreht. Dass ausgerechnet er die Chance hat, vor der Kamera mit Politikern und bekannten deutschen Persönlichkeiten zu sprechen, macht den 27-Jährigen stolz. Denn Philipp lebt mit einer geistigen Beeinträchtigung und arbeitet in den Werkstätten der Evangelischen Stiftung Hephata in Mönchengladbach. Bei dem Sozialunternehmen betreuen 2.600 Angestellte mehr als 3.000 Menschen mit Behinderung.

Er gehört zu den ersten Menschen mit Behinderung in Deutschland, die ihre Einrichtung im Netz selbst vertreten. Seit Mai hat die Stiftung Hephata ihre Social-Media-Arbeit neu aufgestellt. In dem Sozialunternehmen sei lange überlegt worden und am Ende sei es die einzig logische Entscheidung gewesen: "Wenn jemand dort unterwegs sein soll, dann die Menschen, um die es geht", sagt Kommunikationsleiterin Manuela Hannen.

Derzeit passiert alles noch auf Probe

Im Moment läuft noch die Findungsphase. Philipp und seine Kolleginnen und Kollegen dürfen sich in Sechser-Teams einige Wochen lang als Social-Media-Redakteure ausprobieren, bis die Kommunikationsabteilung am Ende entscheidet, wer am besten geeignet ist für den Job, Facebook, Youtube und Instagram zu bespielen. Hephata arbeitet dabei mit Christoph Krachten und seiner Youtube-Agentur United Creators zusammen. Die Agentur produziert auch bekannte Youtuber wie Y-Titty, LeFloid oder die mit dem Grimmepreis ausgezeichneten "Datteltäter".

In der Planungsphase habe man aber auch viel hin und her überlegt, sagt Hannen: "Natürlich gab es auch die Sorge: Was passiert, wenn es Hasskommentare gibt? Was machen wir, wenn zum Beispiel ein Shitstorm kommt?" Schließlich sollten die neuen Teammitglieder nicht überfordert werden.

Krachten sieht das nach einem Monat mit dem neuen Team ganz pragmatisch: "Andererseits sind das auch keine Glasblumen, die beim einmal Antippen sofort zerbrechen", sagt der Youtube-Produzent. Für Shitstorms oder Hasskommentare habe man eine feste Strategie, wie jedes andere professionelle Social-Media-Team auch. "Alles was da bisher kam von den Menschen mit Behinderung, ist so positiv", sagt er. "Sie sind extrem authentisch, und das passt perfekt in die sozialen Medien."

Zora Kiesow kommt nicht ins Drucksen

So ist es für Zora Kiesow ganz selbstverständlich, über Behinderungen zu sprechen, während manch eine Journalistin oder ein Social-Media-Manager bei dem Thema ins Drucksen gerät und um den politisch korrekten Ausdruck ringt. Die 27-Jährige ist seit sechs Wochen im Social-Media-Team und lebt mit einem geistigen Handicap. Im Interview mit der WDR-Moderatorin Bettina Böttinger fragt sie geradeheraus: "Wir Menschen mit Behinderung haben kleine Macken. Aber haben nicht alle eine Macke und welche haben Sie?"

Behinderungen werden ein Stück weit von der Öffentlichkeit ausgeschlossen, gewissermaßen unsichtbar gemacht. Der Social-Media-Manager des Teams, Simon Ruehlen, kennt das aus eigener Erfahrung: "Mit einer Beeinträchtigung wird man oft nicht richtig ernstgenommen, auch wenn man wie ich 'nur' im Rollstuhl sitzt. Durch Social Media können wir uns Gehör verschaffen." Das Team um Hannen und Krachten will auch anderen Menschen mit Behinderung Beratung bei der Nutzung von sozialen Medien anbieten.

Stolz auf die "Plattform im Kopf"

Das Team arbeitet wie viele andere Redaktionen auch: Morgens trifft man sich zur Besprechung, tauscht Ideen aus, Beiträge und Drehs werden geplant, Interviewpartner angefragt und das Team ist mit der Kamera unterwegs. "Also ich find das voll cool", sagt Zora nach sechs Wochen im Team. Das Schneiden der Filme sei zwar manchmal etwas kompliziert, aber dabei gibt es Unterstützung. Sie ist stolz darauf, eine Plattform zu haben für das, was ihr im Kopf herumgeht.

Ideen für zukünftige Beiträge hat das Team schon viele: zum Beispiel die Themen Mobbing und Dating gehören dazu. So ist es ein kleiner Traum, einen Dating-Kanal aufzubauen, "weil das Thema Beziehungen natürlich auch für Menschen mit Behinderung total wichtig ist, es aber für viele auch schwierig ist, überhaupt jemanden kennenzulernen", sagt Hannen.

Nora Frerichmann