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Krankenhäuser

Studie: Bessere Versorgung mit weniger Kliniken




Trigeminus-Operation im Friederikenstift in Hannover (Archivbild)
epd-bild/Jens Schulze
Eine Bertelsmann-Studie über die künftige Kliniklandschaft birgt Zündstoff: Sie empfiehlt eine Konzentration und die Schließung von Krankenhäusern. Ärzte und Verbände warnen vor einem Rückzug aus der Fläche. Die Grundversorgung sei in Gefahr.

Durch eine Konzentration auf große Kliniken könnte laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung die medizinische Versorgung verbessert werden. Die am 15. Juli in Gütersloh veröffentlichte Untersuchung empfiehlt dafür eine drastische Verringerung von aktuell 1.400 Krankenhäuser auf 600. Politiker, Klinikverbände, Ärzte und die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierten den Vorschlag als "Kahlschlag" zulasten der Patienten. Die FDP begrüßte die Resultate der Untersuchung, ebenso die Kassenärztliche Vereinigung Hessen.

Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration auf weniger, dafür aber besser ausgestattete Kliniken vermeiden, heißt es in der von zehn Gesundheitsexperten erstellten Studie. Viele Krankenhäuser seien zu klein und hätten nicht die nötige Ausstattung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt angemessen zu behandeln. Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern führen, vor allem in der Notfallversorgung. Nötig sei dann jedoch auch ein Ausbau der ambulanten Versorgung.

Bundespolitiker gehen auf Distanz

Gesundheitsexperten der Koalition gingen umgehend auf Distanz. Für die SPD sagte Karl Lauterbach der "Augsburger Allgemeinen", er halte die Studie für nicht zielführend. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Georg Nüßlein (CSU) betonte: "Wir haben zu viele Betten, das heißt nicht, dass wir zu viele Krankenhäuser haben." Medizinische Grundversorgung sei ein Wert an sich, darum gelte es, die Krankenhäuser in ländlichen Räumen abzusichern.

Andrew Ullmann, Obmann der FDP Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss, sagte, die Studie zeige klar, "dass wir eine grundlegende Strukturreform im Gesundheitswesen brauchen. Nur auf diesem Weg können wir den unsäglichen Dreiklang von Über-, Unter- und Fehlversorgung zerschlagen." Ein Konzentrationsprozess bei Akutkrankenhäusern sei unerlässlich. "Gleichzeitig braucht es aber eine Stärkung des Rettungsdienstes, der ambulanten Versorgung und der Reha-Einrichtungen."

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte davor, so viele Krankenhäuser "plattzumachen" und die verbleibenden 600 zu Kliniken und Großkliniken auszubauen. Das sei eine "Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß", erklärte Präsident Gerald Gaß. Zentrales Qualitätsmerkmal des Gesundheitswesens sei der flächendeckende Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die Bundesärztekammer erklärte, eine Versorgung in größeren Strukturen könne zwar in Ballungsgebieten sinnvoll sein. Gerade im ländlichen Raum müsse jedoch die flächendeckende Behandlung sichergestellt werden.

Marburger Bund verweist auf eigenes Konzept

Ähnlich äußerte sich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Versorgungsprobleme würden nicht dadurch gelöst, dass pauschal regionale, leicht zugängliche Versorgungskapazitäten ausgedünnt werden. "Strukturelle Probleme, wie sie in der Notfallversorgung zu Tage treten, sind längst erkannt, an Konzepten wird intensiv gearbeitet", sagte Verbandschef Rudolf Henke. So habe der Marburger jüngst gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Konzept zur Etablierung gemeinsamer Anlaufstellen von Krankenhäusern und Bereitschaftspraxen der niedergelassenen Ärzte vorgelegt.

Henke weiter: "Die Krankenhausversorgung als ein zentrales Element der Daseinsfürsorge braucht zweifellos Steuerung." In erster Linie müssten die Länder ihre Kompetenzen in der Planung wieder stärken. "Dazu bedarf es einer definierten Krankenhausplanung und aktiven Gestaltung unter Beteiligung der jeweiligen Landesärztekammer."

Verband: "Realitätsferne Zahlenspielerei"

Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands sprach von "realitätsfremder Zahlenspielerei". Verbandschef Ingo Morell sagte, Patienten "als Trost für längere Wege eine bessere Behandlungsqualität zu versprechen, ist Augenwischerei." Auch in den Kliniken der Grund- und Regelversorgung vor Ort sei eine hohe Qualität Standard.

Schließlich würde die empfohlene Reduzierung von Kliniken laut Morell eine Verdopplung der Behandlungsfälle pro Krankenhaus bedeuten. "In der Studie wird argumentiert, die stationären Fallzahlen könnten durch mehr ambulante Behandlungen von heute 19,5 Millionen pro Jahr auf 14 Millionen gesenkt werden. Gleichzeitig wird jedoch eingeräumt, dass die ambulanten Strukturen diese Patienten derzeit nicht aufnehmen können."

Morell weiter: "Nur eine rigide Patientensteuerung wird die Fallzahlen in den Kliniken deutlich reduzieren. Doch das würde die Patientinnen und Patienten Wahlfreiheit und Souveränität kosten."

An chronisch kranke Patienten denken

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, auch wenn die Konzentration auf Großkrankenhäuser wissenschaftlich begründet sei, wären Fusionen für die Menschen verheerend. Es gehe nicht immer nur um komplizierte Operationen mit Maximalversorgung, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Vielmehr müsste auch alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Patienten gut behandelt werden. Diese machten schon heute mehr als 60 Prozent der Krankenhauspatienten aus.

Zustimmung zu den Anregungen kam dagegen vom Klinikkonzern Asklepios (Hamburg). "Wir sprechen uns schon lange für eine drastische Senkung der Zahl der Krankenhäuser und für eine geordnete Strukturbereinigung der Krankenhauslandschaft aus", sagte Kai Hankeln, CEO der Asklepios Kliniken GmbH & Co. KGaA. Durch die viel zu hohe Zahl an Kliniken komme es zu "erheblicher Ineffizienz in der Versorgung".

In der Realität fehle aber der politische Wille, konsequente Schritte zu unternehmen, Krankenhäuser zu fusionieren und Fachabteilungen oder ganze Standorte zu schließen, beklagte der Vorstand.

"Brauchen Strukturbereinigung"

"Wir brauchen eine geordnete Strukturbereinigung der Krankenhauslandschaft." Dazu müsse die Planungshoheit von der Landes auf die Bundesebene verlagert werden. "Denn die Erfahrung hat gezeigt, der Landespolitik fehlt in der Regel die Kraft, inneffiziente Kliniken zu schließen, weil die Sorge beim nächsten Urnengang von hiesigen Wähler abgestraft zu werden, jede Sachentscheidung überlagert", sagte Hankeln.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen begrüßte die vorgeschlagene Schließung von Kliniken. "Wir wissen schon seit Jahren, dass eine derart hohe Dichte an Kliniken einfach nicht mehr in die Zeit passt", erklärten die beiden Vorstandsvorsitzenden Frank Dastych und Eckhard Starke am Dienstag in Frankfurt am Main. Die Dichte schlage sich auf die Qualität der Versorgung, die Kosten und die Frage der Ressourcen bei Ärzten und Pflegepersonal nieder.

Kleinstkliniken binden nach Darstellung der beiden Vorstände Ressourcen und können die notwendige ärztliche Qualität auch deshalb nicht liefern, weil es gar nicht genügend Ärzte gibt. Gleiches gelte für das Pflegepersonal. Der Ausweg aus diesem Dilemma heiße: "Exzellenz durch Konzentration und Spezialisierung".

Die Bertelsmann Stiftung erklärte, die Studie sei der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich stärker an Qualitätskriterien als an schneller Erreichbarkeit orientiere. Dazu gehörten beispielsweise eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, Erfahrung des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung. Erstellt wurde die Studie vom Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Holger Spierig, Dirk Baas


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