sozial-Branche

Armut

Gemüse statt Gottesdienst




Die einstige Kirche "Heilige Familie" beherbergt die Oberhausener Tafel.
epd-bild/Udo Gottschalk
In der Kirche "Heilige Familie" in Oberhausen finden seit 2007 keine Gottesdienste mehr statt. In dem Gotteshaus verteilt jetzt die Oberhausener Tafel Lebensmittel an Bedürftige.

Freitagmorgen am Oberhausener Tafelcafé: Im Innenhof der katholischen Kirche "Heilige Familie" sitzen rund 30 Menschen in der Sonne und warten darauf, dass die Lebensmittelausgabe öffnet. Die meisten unterhalten sich, der ein oder andere raucht noch eine Zigarette. An der Seite des Gebäudes laden Helfer die eingesammelten Lebensmittel aus Kühltransportern, drinnen räumen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Kartoffeln und Paprika, Gurken und Rosenkohl in Kunststoffkisten.

Im Innenraum der quadratischen Hallenkirche hängt noch das Altarkreuz, die Sonne fällt durch die bunten Fenster des 1958 eingeweihten Backsteinbaus. Doch die Bänke sind in der Mitte um den Altar zusammengeschoben, in den Ecken des Raumes sind Kühl- und Lagerräume eingebaut worden. 2007 wurde die Kirche im Rahmen einer Gemeindefusion an die Oberhausener Tafel vermietet, die Tafelkirche zog ein. Der Tafelverein ist einer von 940 bundesweit, der überschüssige Lebensmittel einsammelt und an bedürftige Menschen verteilt.

Bis zu 150 Kunden kommen zur Ausgabe

Obst und Gemüse sind in ordentlichen Reihen auf Tischen aufgebaut, Brot und Brötchen in Theken mit Glasabdeckung eingeräumt, Milchprodukte, Wurst und Käse liegen in Kühlregalen. Außerdem gibt es heute Süßigkeiten. 140 bis 150 Kunden erwartet Silvia Willershausen an diesem Tag an der Lebensmittelausgabe. Die stellvertretende Vorsitzende des Tafelvereins leitet das Freitagsteam der Helfer.

Auch montags, mittwochs und donnerstags können Besucher, die sich mit ihrem Leistungsbescheid registriert haben, am Eingang zwei Euro bezahlen und dann Lebensmittel bekommen. Der kleine Geldbetrag soll dazu beitragen, dass sich die Kunden nicht als Almosenempfänger empfinden und zugleich einen Teil der Kosten für den Unterhalt des Gebäudes und der Fahrzeuge decken. Den Rest muss der Verein über Spenden finanzieren.

Sabine ist schon seit Viertel vor sieben unterwegs und genehmigt sich erst einmal eine Pause. Die 54-Jährige fährt mit einem der vier Kühlfahrzeuge einige der mehr als 60 Supermärkte, Discounter und Bäckereien an, die nicht mehr benötigte Lebensmittel spenden. Vor acht Jahren kam sie zur Tafel, "erst als Kundin", weil sie arbeitslos war. Ein Jahr später beschloss sie, sich als Helferin nützlich zu machen. "Hier tu' ich was Sinnvolles und Gutes", sagt sie.

Auch Schulen werden regelmäßig beliefert

Insgesamt hat der Tafelverein rund 100 ehrenamtliche Mitglieder, die in der Tafelkirche und zwei weiteren Ausgabestellen in der Stadt mithelfen. Dort werden wöchentlich insgesamt etwa 2.000 Menschen versorgt. Neben Arbeitslosen und Rentnern gehören auch alleinerziehende Frauen und in den vergangenen Jahren vermehrt Flüchtlinge zu den Besuchern der Tafelkirche. "Außerdem werden dienstags acht Schulen mit Obst und Gemüse beliefert", berichtet Willershausen.

Neben der Lebensmittelausgabe bietet der Tafelverein im Vorraum der Kirche an drei Tagen in der Woche auch einen Mittagstisch an mit warmem Essen, Kaffee und Kuchen. Heute gibt es Frikadellen mit Kohlrabigemüse. 50 Cent kostet das warme Essen, 30 Cent ein Nachschlag, kalte Getränke oder Kaffee gibt es für 30 Cent, für den Kuchen müssen die Besucher je nach Sorte bis zu einem Euro zahlen. Zum Mittagstisch kann jeder kommen, hier ist kein Nachweis der Bedürftigkeit nötig.

Zu den Gästen zählen zahlreiche Rentner, wie etwa Josef, der sich das Essen schmecken lässt. "Ich gehöre zu den vielen Rentnern, deren Rente unter 1.000 Euro liegt", sagt der 65-Jährige. Am Nachbartisch sitzt Stanley, der vor dreieinhalb Jahren aus Nigeria nach Deutschland gekommen ist. Der 30-Jährige will nach seiner Anerkennung als Asylbewerber eine Ausbildung beginnen. Ihn habe das Jobcenter zur Tafel geschickt, sagt er.

Dann sitzt da noch Klaus, der seit einem Arbeitsunfall schwerbehindert ist. Und Michaela, die ihre Tochter verloren hat und dadurch aus der Bahn geworfen wurde. "Viele unserer Kunden sind von Schicksalsschlägen betroffen", sagt Helferin Brigitte. Die 78-jährige Rentnerin ärgert sich deshalb, wenn Hartz-IV-Empfängern Faulheit vorgeworfen wird. "Ich finde solche Vorurteile nicht in Ordnung."

Esther Soth