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Behinderung

"Oldenburger Baby" Tim stirbt mit 21 Jahren




Tim, der Junge, der einen Abtreibungsversuch überlebte, und seine Pflegemutter Simone Guido im Jahr 2015
epd-bild/Detlef Heese
Tim, ein Junge mit Down-Syndrom, wurde 1997 bundesweit als "Oldenburger Baby" bekannt. Seine Mutter ließ eine Spätabtreibung vornehmen, doch Tim überlebte und kam in eine Pflegefamilie. Jetzt ist er mit 21 Jahren an einem Lungeninfekt gestorben.

Der als "Oldenburger Baby" bekanntgewordene Tim ist am 4. Januar im Alter von 21 Jahren gestorben. Er sei einem kurzen Lungeninfekt erlegen, sagte Pflegemutter Simone Guido dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 8. Januar: "Aber kurz vorher war er noch richtig fit, und wir hatten ein superschönes Weihnachtsfest."

Bei dem Jungen war im Sommer 1997 in der 25. Schwangerschaftswoche das Down-Syndrom diagnostiziert worden. Seine Mutter ließ daraufhin eine Spätabtreibung vornehmen. Tim überlebte unerwartet, obwohl er erst mehrere Stunden danach medizinisch versorgt wurde. Familie Guido aus Quakenbrück bei Osnabrück nahm ihn in Pflege.

Schwangerschaftsabbrüche sind unter bestimmten Voraussetzungen nur innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft straffrei. Von einem ärztlichen Gutachter wurde aber eine Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit der Mutter festgestellt, so dass eine Abtreibung auch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat erlaubt wurde.

Tim überlebte Abtreibung im Juli 1997

Doch das Kind überlebte die am 6. Juli 1997 in einer Oldenburger Klinik eingeleitete Geburt und starb auch nicht in den ersten Stunden danach. Tim hat neun Stunden - in ein Handtuch gewickelt - ganz allein um sein Leben gekämpft. Erst dann kümmerten sich Mediziner und Schwestern um ihn. Auch danach hing sein Leben oft am seidenen Faden. Die Ärzte gaben ihm nur ein oder maximal zwei Jahre.

Als Tim geboren wurde, hatten sich die Guidos gerade entschlossen, ein Pflegekind aufzunehmen. "Es sollte ein gesundes Mädchen sein", erinnert sich Simone Guido. Doch sie nahmen Tim. Als sie ihn im Krankenhaus das erste Mal gesehen hätten, sei es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Seine leiblichen Eltern konnten ihn nicht zu sich zu holen. Die Mutter ist wenige Jahre später gestorben, der Vater hat den Kontakt zur Pflegefamilie irgendwann abgebrochen. Bereut haben die Guidos ihre Entscheidung nie: "Wir führen ein glückliches Leben, ich kann mir kein besseres vorstellen", sagte Simone Guido kurz vor Tims 18. Geburtstag.

Etliche schwere Operationen überstanden

Durch die Unterversorgung nach der Geburt hatte Tim weitere Behinderungen. Seine Füße hatten eine starke Fehlstellung. Er war Autist, konnte kaum sprechen. Viele Operationen waren nötig. Aber Tim war eine Kämpfernatur, hat es immer geschafft. "Er ist eben ein Kämpfer", sagte seine Pflegemutter oft. Vor allem die Delfintherapien in der Karibik hätten ihm sehr geholfen.

Tim hat das Leben in der Großfamilie genossen. Sein herzliches Lachen wirkte oft ansteckend. Die zwei leiblichen Söhne Marco und Pablo waren sechs und vier, als Tim geboren wurde. Nach Tim haben die Guidos noch zwei weitere Kinder mit Down-Syndrom in Pflege genommen: Melissa (18) und Naomi (14).

So hat Tim sich von einem Jungen, der viele Hürden zu überwinden hatte, zu einem mutigen jungen Mann entwickelt, der oft einen Dreitagbart trug und sogar in eine heilpädagogische Werkstatt ging. Dort sollte er nach seinen Möglichkeiten auf das Berufsleben vorbereitet werden. Darauf waren die Guidos sehr stolz. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.

Pflegeeltern: "Wir sind sehr traurig"

"Wir sind sehr traurig und wissen noch nicht, wie wir den Verlust unseres einzigartigen, lebensfrohen Sohns verkraften sollen", schreiben die Pflegeeltern auf der Internetseite www.tim-lebt.de. Er liegt in einem Bestattungshaus aufgebahrt und Familie, Freunde und langjährige Betreuer nehmen Abschied. "Vor allem Melissa und Naomi haben ihn da schon oft besucht", erzählt Simone Guido.

Immer wieder haben die Guidos in Fernsehbeiträgen, Talkshows und Zeitungsartikeln betont, wie viel Tim ihnen gegeben habe - trotz der vielen Krankheiten und Krisen, die sie mit ihm zusammen durchgestanden haben. Im Vorwort zu dem Buch, dass sie zu Tims 18. Geburtstag geschrieben haben, betonen sie: "Mach so weiter, bereichere unser Leben durch deine Fröhlichkeit und deinen Lebenswillen. Du bist ein ganz besonderer Mensch."

Tim sei schon während der vergangenen Wochen nicht so stabil gewesen und habe viele Infekte gehabt, berichtete Simone Guido: "Es war immer schwer, Tim über den Winter zu bringen. Das war immer die härteste Zeit mit ihm." Seine Lunge sei aufgrund der frühen Geburt in der 25. Schwangerschaftswoche geschädigt gewesen. Aber in diesem Jahr sei es bei dem kalt-nassen Wetter heftiger gewesen.

Tod kam überraschend in der Nacht

Zunächst sei der erneute Lungeninfekt gar nicht so schlimm gewesen. Tim habe Antibiotika erhalten und inhaliert. Gegen halb zehn Uhr abends habe ihr Mann Tim ins Bett gebracht, erzählte die Pflegemutter. Sie habe sich dann ins Nebenzimmer gelegt, um gleich da zu sein, wenn er etwas bräuchte. "Aber als ich um elf Uhr aufwachte, war es so still." Der herbeigerufene Notarzt habe ihren Sohn reanimiert und ins Krankenhaus gebracht, wo er wenige Minuten später gestorben sei.

Jetzt nähmen die Familie und Freunde Abschied von Tim. Er sei in einem Bestattungshaus aufgebahrt. Vor allem seine beiden Schwestern Melissa und Naomi, ebenfalls Pflegekinder mit Down-Syndrom, gingen ganz unbefangen zu ihm. "Die Mädchen haben ihn schon öfter besucht und nehmen Abschied." Viele langjährige Freunde, Betreuer und Weggefährten seien da. Die Trauerfeier mit einer befreundeten Trauerrednerin finde am 12. Januar statt. Später werde Tim im kleinen Kreis im Friedwald in Bramsche bestattet.

Martina Schwager